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Tocotronic: Die Unendlichkeit

Schluss mit den mystischen Andeutungen, jetzt wird’s ehrlich. Tocotronic geben sich auf ihrem neuen Album bemerkenswert unzweideutig. Musikalisch ist das so gut wie lange nicht mehr.

„Ich erzähle dir alles und alles ist wahr“ heißt es auf dem neuen Stück „Electric Guitar“, eine Namensverbeugung vor den großen Prefab Sprout. Keine Verklausulierungen mehr, stattdessen offenes Visier. „Ein bisschen haben wir uns zuletzt sicherlich hinter Manifesten, Theorie-Referenzen und dem Formalismus versteckt“, sagt Sänger und Texter Dirk von Lowtzow zum neuen Album und die neue Eindeutigkeit wirkt wie ein Jungbrunnen für die Band, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei aller Wandelbarkeit immer durch eine kerzengerade Attitüde bestach. Das erwähnte „Electric Guitar“ erzählt den Weg eines sich suchenden von Lowtzow in Kleinstadtzusammenhängen wieder. Inklusive Bushaltestellen, Apfelkorn und Jugendzimmer im Souterrain.

„1993“ ist der inhaltliche Anschlusssong: Umzug in die Großstadt, das popkulturelle Himmelreich, den eigenen Weg zu finden. Nicht nur textlich, auch musikalisch ist „Die Unendlichkeit“ ein frisches Unterfangen, das den lyrischen Geradeauslauf mit viel Verve untermauert. „Hey Du“ zum Beispiel ist ein wunderbar vor sich hin scheppernder Zweiminüter, der beweist, dass die Mittvierziger aus dem Hause Tocotronic immer noch mehr Punk im kleinen Finger in sich tragen als ein ganzes Stadion voll dieser ärgerlich unironischen Wir-haben-uns-alle-nicht-verändert-Schulterklopfer von Revolverheld über Bourani bis Giesinger, oder wie diese ganzen Gestalten auch heißen. 

ANSPIELTIPPS „Hey Du“, „Electric Guitar“ und „Ich lebe in einem wilden Wirbel“
FAZIT Das Leben in der guten Nische geht unverdrossen weiter.