Der Armut entkommen, gilt es, der gute Mensch zu bleiben, der sie ist, in einer Welt, in der die Gemeinschaft um sie herum ihre Hilfsbereitschaft gnadenlos ausnutzt – ausnutzen muss. Sie kauft einen kleinen Tabakladen – wird jedoch immer mehr von Schmarotzern ausgenommen. Schließlich bleibt ihr nichts anderes übrig, als in die Rolle ihres erfundenen Vetters Shui Ta zu schlüpfen und rücksichtslos zu wirtschaften.
Als Mann Shui Ta bewundert sie die Gerissenheit des arbeitslosen Fliegers Yang Sun, während sie als Shen Te den Flieger liebt und vor lauter Liebe sein berechnendes Wesen nicht sehen will. Doch das Verkleidungsspiel kann nicht lange gut gehen … Muss am Ende der Anspruch der Götter, „gut zu sein und doch zu leben“ scheitern? Was an dieser Idee ist verwerflich oder naiv? Und seit wann ist eigentlich „Gutmensch“ ein Schimpfwort?
Schon Anfang der 1930er-Jahre entstand in Berlin ein erstes Fragment des guten Menschen von Sezuan. Bertolt Brecht arbeitete damals zeitgleich an einem Stück, das Die Ware Liebe heißen sollte; es sollte darin um Prostitution gehen, die nach Ansicht Brechts ein Ergebnis der kapitalistischen Ausbeutungslogik ist. 1938 bis 1940 stellte er mit der Hilfe von Ruth Berlau und Margarete Steffin Sezuan im schwedischen Exil fertig; 1943 wurde es uraufgeführt. Bis heute ist es eines der bedeutendsten Stücke von Brecht. Vor allem, weil Brecht den Schluss offenlässt. Die Lösung müssen wir schon selbst finden.