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Anthem

Da bleibt einem der Atem weg: Entwickler Bioware weiß, wie man fantastische Welten erschafft. Nur beim Inhalt dürfen die Kanadier gern noch etwas nachlegen.

Da ist es nun also, das neue Spiel der legendären Rollenspielschmiede Bioware. Das in Kanada ansässige Studio hat sich mit Spielen wie der „Mass Effekt“- oder „Dragon Age“-Reihe einen Namen unter Spielern gemacht – auch wenn ihre neusten Werke nicht mehr ganz so gut ankamen. Das ist aber eine andere Geschichte.

Nun soll also eine völlig neue Marke zu altem Glanz verhelfen. Und soviel sei gesagt: „Anthem“ hat definitiv das Zeug zum Hit – muss sich aber noch mit ein paar Designproblemen beschäftigen. Die Welt von „Anthem“ ist gigantisch: Auf einem fremdartigen Planeten, der von einer Hymne (Englisch „Anthem“) geschaffen wurde, herrscht Chaos.

Menschen können nur noch in einer Enklave überleben, in der sich weitestgehend sicher sind vor den Kreaturen, die den Planeten besiedeln. Als Speerspitze zwischen den Menschen und den Monstern dienen die sogenannten Freelancer. Diese sind wagemutige Piloten, die sich in Kampfanzügen nach draußen wagen, um dort Ressourcen abzugrasen und nebenher das Böse in Schach halten. Das wäre es grob an Story, ohne zu viel vorwegzunehmen.

Augenzucker pur

Der Einstieg in die episch anmutende Geschichte ist ein optischer Genuss: An jeder Ecke des Spiels merkt man die über sieben Jahre an Entwicklung, die hier reingeflossen sind. Diese fremde Welt mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna lädt zum Staunen ein. Allein die Landschaft lässt die Kinnlade öfters nach unten klappen: Von dicht bewuchertem Dschungel über karge Felsformationen bis hin zu dunklen Höhlen oder rauschenden Wasserfällen fackelt Bioware bei „Anthem“ ein optisches Feuerwerk ab.

Spielerisch beschreiten die Rollenspielexperten allerdings für die Firmenhistorie neue Pfade. Denn anstatt auf eine komplexe Geschichte mit dutzenden tiefgründigen Charakteren und mehreren Entscheidungswegen zu setzen, bietet „Anthem“ lieber Action satt. Selbst bezeichnet sich das Spiel als „Loot-Shooter“ und wäre damit in bester Gesellschaft von Titeln wie „Destiny“ oder „The Division“.

Aus der Third-Person-Perspektive wird der eigene Recke gesteuert, der auf seinen Erkundungsausflügen immer wieder zur Waffe greifen muss. Das „Loot“ findet sich nach einer Mission: Denn dann winken verbesserte Versionen der eigenen Waffen und stärkere Ausrüstung.

Allerdings treiben es die Entwickler nicht so weit wie ein „Diablo“ oder „Destiny“ – der Sammel- und Suchtfaktor hält sich etwas in Grenzen, was an der Wahl der Waffen liegt. Hier findet sich alles „Handelsübliche“, was auch anderen Spielen bereits bekannt ist. Für ein Sci-Fi-Spiel dieser Dimension sind Schusswaffen wie Gewehre, Raketenwerfer oder Schrotflinten nicht sonderlich innovativ. Was nicht ist, kann ja noch werden …

Vier Streiter für das Recht

Etwas spektakulärer sind da die Eigenschaften der Javelins. So werden die fliegenden Kampfanzüge in „Anthem“ genannt. Insgesamt können Spieler in der Hauptstadt namens Fort Tarsis zwischen vier unterschiedlichen Anzügen wählen. Im Grunde stellen diese die vier unterschiedlichen Klassen dar: Während der eine viel aushält und ordentlich austeilt, ist ein anderer agiler und kann mit effektreichen Blitz-Salven die Gegner beharken.

Jedenfalls schlummert hier mächtig Potenzial – besonders im Verbund mit anderen Spielern. „Anthem“ lässt sich ganz gut alleine spielen, macht aber mit Freunden wesentlich mehr Freude. Auf den höheren Schwierigkeitsgraden ist das Teamwork dann das A und O einer erfolgreichen Mission. Denn nur mit Absprache lassen sich besonders dicke Gegner legen.

Dabei tritt ein nicht ganz so komplexes, aber unterhaltsames Kombi-System in Erscheinung, das simpel ausgedrückt so funktioniert: Spieler können mit ihrem Charakter einen Gegner markieren. Diese Markierung kann dann von einem anderen Spieler zur Detonation gebracht werden, was einen bestimmten Effekt hat – je nach Klasse. Auf diese Art lassen sich einige coole Kombinationen erzielen, die jeweils für bestimmte Situationen lebenswichtig sind. Interessanter Ansatz.

Achtung, Bauarbeiten!

Allerdings hat „Anthem“ zwei Probleme – zumindest im derzeitigen Zustand. Da wäre das Gefühl, dass man zu Beginn einfach nicht so recht in die Story eintauchen kann. Das liegt zum einen daran, dass Bioware tief in die Terminologie-Kiste greift, von der man als Neuling noch nichts versteht.

Dadurch kommt es schon vor, dass man sich als Außenseiter in einem Kreis von Eingeweihten fühlt – ein merkwürdiger Zustand. Zum anderen kommt die Story aber erst spät in Fahrt und erklärt dann – im Gegensatz zu einem „Destiny“ – durchaus seine Welt und sein Drumherum. Vielleicht wäre hier ein bisschen mehr Balance nötig.

Die nächste Baustelle sind die Missionen, auf die die Freelancer geschickt werden. Eigentlich handelt es sich hier nur um einen kleinen Kritikpunkt, doch einige der Missionen kommen sehr belanglos daher und passen nicht so recht ins Gesamtbild.

Immer wieder tauchen Aufträge auf, in denen man X Gegenstände besorgen muss, um etwas zu aktivieren. Das ging am Ende dann sogar soweit, dass eine der letzten Missionen erst angespielt werden kann, wenn man eine bestimmte Ressource x-mal besitzt. Das hätte Bioware deutlich besser lösen können. Allerdings ist das Meckern auf hohem Niveau.

Apropos hohes Niveau: Sobald der Maximal-Level 30 erreicht ist, fängt das End-Game an. Derzeit können Spieler sich in zwei sogenannten Strongholds als Team beweisen. Diese warten mit besonders knackigen Gegnern auf und liefern schöne Bosskämpfe ab.

Mit der dort gewonnenen Ausrüstung können dann später die höheren Schwierigkeitsgrade angegangen werden. Mehr Inhalte folgen sicherlich bald. Für den Anfang sollte man sich dort ein Weilchen beschäftigen können.

Fazit

Bioware macht seine Aufgabe sehr gut: „Anthem“ hat das Potenzial für einen richtig großen Kracher. Als sogenannter Loot-Shooter hat das Spiel allerdings noch wenig zu bieten: Die Beute hält sich noch arg in Grenzen und wird längst nicht so ausufernd, wie bei der Konkurrenz.

Dafür stimmt hier spielerisch aber gleich alles von Anfang: Die Teamsuche funktioniert tadellos, die Steuerung geht locker von der Hand und diese Welt – nun ja – die ist eine Nummer für sich.

Denn was außerhalb der sicheren Hauptstadt der Freelancer liegt, gehört zum besten, was die Spielebranche derzeit zu bieten hat. Auf „Anthem“ wartet eine hoffentlich rosige Zukunft – die Ausgangslage stimmt zumindest.

Erhältlich für: Xbox One, PS4, PC
Website: ea.com/de-de/games/anthem