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Biomutant

Tierische Postapokalypse, die zeigt, wie große Ambitionen zum Hindernis werden können.

Nachdem ich nun etliche Reviews meiner Kollegen zu Biomutant gelesen habe, erwähne ich das am besten gleich zu Beginn: Dieser Test hier wird kein Verriss des Spiels werden. Davon gibt es leider viel zu viele. Hier bekommt ihr meine persönliche Sicht auf ein Spiel, das höchstens an seinen großen Ambitionen scheitert – Spaß macht es aber dennoch.

Stille nach dem großen Knall

Vier Jahre ist es her, dass ich Biomutant bei THQ Nordic auf der gamescom vorgestellt bekam. Seither wurde es lange Zeit still um das Action-Adventure. Das lag daran, dass das schwedische Entwicklerteam Experiment 101 wohl nicht mit einem so überwältigenden Feedback gerechnet hatten. Das schraubte die eigenen Erwartungen an den Titel noch einmal in ungeahnte Höhen.

Experiment 101 wollte nun mehr aus Biomutant herauskitzeln und steckte nochmals ordentlich Programmierzeit hinein. So viel zum Hintergrund, falls ihr den noch nicht kanntet. Das Problem an der Sache: Experiment 101 ist nicht Ubisoft, EA oder ein anderer gigantischer Entwickler mit ordentlich Man Power. Anders ausgedrückt: Biomutant sollte sich nicht mit einem Assassin’s Creed, Zelda oder Red Dead Redemption vergleichen. Schuster bleib bei deinen Leisten, sag ich da.

Warum ich das erzähle? Experiment 101 weiß das sicherlich, aber manche Spieler scheinen das nicht zu wissen. Daher sollten sie auch nicht so ein riesiges Triple-A-Spiel erwarten – auch wenn die Werbung für Biomutant das teilweise vermuten ließ. Wenn ihr euch einfach nur so auf das Spiel einlasst, ohne exorbitante Erwartungen zu haben, dann könnt ihr hier lockere Unterhaltung finden. So erging es mir jedenfalls.

Die Menschheit am Ende

In Biomutant startet ihr in eine postapokalyptische Welt, in der die Tiere die Herrschaft übernommen haben. Die Menschheit hat lediglich Müll und Verwüstung hinterlassen. Der Rest der Flora und Fauna ist glücklich vor sich hin mutiert. So seid ihr auch einer dieser Mutanten – eine Art Waschbär, wenn ihr mich fragt. Biomutant kommt als Action-Rollenspiel daher: Ihr dürft zu Beginn euren Charakter auswählen, inklusive der Klasse, die ihr spielen wollt. Das macht sich dann an verschiedenen Statuswerten bemerkbar.

Ich habe zu einem Mutanten mit Intelligenz tendiert, weil ich magische Fähigkeiten nutzen wollte. Das sollte sich letztlich in vielerlei Hinsicht auszahlen. Den Start des Abenteuers macht mir Biomutant nicht sonderlich einfach. Ich fühle mich in die diese große Welt hineingeworfen, ohne genau zu wissen, was hier vor sich geht. Das ist grundsätzlich kein Problem – doch Biomutant hätte mir zumindest ein paar Basis-Koordinaten mitgeben können. So auch die Tatsache, dass jeder Bewohner, den ich treffe, nicht direkt mit mir spricht bzw. nur Kauderwelsch.

Ein Sprecher aus dem Off kommentiert das Ganze. Das macht bei der Teamgröße der Entwickler durchaus Sinn als jeden einzelnen Charakter zu vertonen. Aber bitte erwähnt das doch irgendwie am Anfang. Ich war jedenfalls verwirrt. Warum sich nun viele so sehr von dem Sprecher gestört fühlen, wurde mir erst ab der Hälfte des Abenteuers klar: Die Wiederholungsrate seiner Sprüche kann einem auf den Keks gehen. Ich habe das aber automatisch herausgefiltert und mich nicht weiter stören lassen.

Große, merkwürdige Welt

Nach einem kleinen Tutorial steht euch die Welt offen – im wahrsten Sinne des Wortes. Biomutant bietet euch eine große, offene Welt voller Monster und Geheimnisse. Im Zentrum dieser Welt steht der Weltenbaum, den es zu retten oder zu zerstören gilt – je nach euerer Gesinnung. Denn Biomutant enthält ein Moralsystem, das Punkte für getroffene Entscheidungen verteilt. Wer Gutes macht, bekommt weiße Punkte.

Ein Bösewicht ergattert sich schwarze Punkte. Das spielt bis auf das Ende der Story allerdings kaum eine Rolle. Nur ein paar Skills lassen sich erst freischalten, wenn ihr entsprechend viele Punkte einer Kategorie gesammelt habt. Im Grunde ist Biomutant ein gemütliches Erkundungs- und Kampfspielchen in Reinform: Ihr lauft durch die Gegend, seht Feinde und bekämpft diese mit allen Mitteln. Dazu stehen euch Nahkampfwaffen, Schießeisen und magische Fähigkeiten zur Verfügung.

Durch errungene Siege erhaltet ihr Erfahrungspunkte, die ihr in neue Skills und Stauts-Werte stecken könnt. Das motiviert auf Dauer und lässt euch immer wieder neue Kampfmöglichkeiten erproben. Der Skill-Tree ist jetzt nicht sonderlich umfassend, aber dennoch mit einigen interessanten Fähigkeiten gespickt. Von Sprungpilzen über Schleimblasen bis hin zu Kettenblitzen bietet das Portfolio eine ordentliche Auswahl, um Gegner zu beharken.

Klare Vorgaben

Biomutant setzt euch zwei große Ziele vor die Nase: Alle Stämme auf der Karte zu einen und die vier Weltenfresser auszuschalten. Letztere sind dicke Brocken, die ihr in speziellen Boss-Kämpfen erledigen müsst – was nur durch besondere Transportmittel funktioniert. Die einzelnen Stämme könnt ihr durch Einnahmen deren Festungen dazu bringen, sich euch anzuschließen. Und als Nebenaufgaben habt ihr da noch diverse Sammel-Quests, die euch Erfahrungspunkte und besondere Gegenstände spendieren. Also eigentlich alles, was ein Open-World-Rollenspiel ausmacht, oder? Nicht ganz.

Grundsätzlich machen diese Mechaniken durchaus Spaß – mir jedenfalls. Nur bei manchen Design-Entscheidungen habe ich mich gefragt, warum sie ihren Weg ins Spiel gefunden haben. Beispielsweise das Moralsystem: Wenn ich richtig böse sein will, dann sollte ich den Weltenfressern doch helfen die Welt zu zerstören, oder? Das passiert aber nicht. Auch was den Levelaufstieg anging, war ich am Zweifeln: Ich ging ein wenig durch die Welt, um Erfahrung zu grinden – soweit das ging.

Als ich dann meiner Meinung nach richtig stark war, ging ich ins Anfangsgebiet zurück, um den Feinden dort das Fürchten zu lehren. Das Komische: Ich war Level 12 und meine Feinde nicht wie erwartet etwa Level 1 oder 2, sondern Level 9 oder 10. Anscheinend sind sie mit mir gelevelt, was ein bisschen als Dämpfer für mich galt. Keine Ahnung, ob das nun Zufall war, aber ich habe nirgends im Spiel Gegner getroffen, die weit über oder unter meinem aktuellen Level waren. So eine Kaugummi-KI finde ich meist nicht so gut.

Schön anzuschauen

Dafür zaubert Biomutant für seine Mittel eine hübsche Optik auf die Bildschirme – jedenfalls wenn ihr draußen unterwegs seid. Innerhalb von Höhlen bedeckt ein merkwürdiger Schwarzfilter das Bild, so dass ich oft Probleme hatte den Ausgang zu finden oder mich richtig zu orientieren. Das Gegnerdesign ist Experiment 101 dafür durchaus gelungen.

Besonders interessant fand ich dabei die unterschiedlichen Größenverhältnisse, die ihr immer wieder im Kampf feststellen werdet: Unter den sechs Feinden im Lager ist da meist ein dicker Brocken dabei, der euch wie ein Hochhaus überragt. Ganz zu schweigen von den Weltenfressern, die euch um den Faktor 1000 übertreffen. Wie gesagt: Die Welt von Biomutant bietet genügend Augenzucker unterwegs.

Gescheitert sind die Schweden höchstens an ihren großen Ambitionen: Si wollten einfach zu viele Spielmechaniken hier vereinen, was nicht immer gelungen ist. Da wäre weniger mehr gewesen. Dafür haben sie ein großartiges Crafting-System entwickelt, das euch aus fast allem eine Waffe bauen lässt. Ich habe meinen vollautomatischen Staubsauger mit Morgensternaufsatz geliebt. Aber auch hier zeigt sich: Ihr kommt auch prima ohne selbstgebaute Waffen aus, weil euch das Spiel nie so sehr fordert, wie es eigentlich könnte.

Fazit

Ich kann verstehen, warum Biomutant bei vielen Zockern auf keine große Gegenliebe stößt: Die Erwartungen kann das Werk definitiv nicht erfüllen. Aber macht es das zu einem schlechten Spiel? Keineswegs! Seht es als den kleinen Bruder eines Zelda und Co, der noch nicht ganz erwachsen ist. Die Ansätze sind da, die Ideen teilweise innovativ, aber die Umsetzung noch nicht gelungen. Unterhalten wurde ich aber dennoch.

Daher würde ich mir wünschen, dass Biomutant eine Fortsetzung erhält, weil diese Welt so viel Potenzial bietet. Dann bitte aber mit mehr Story und besser ausgetüftelten Spielmechaniken sowie abwechslungsreicheren Nebenquests. Und dabei muss die Welt nicht künstlich aufgeblasen werden. Lieber acht Stunden packende Action als durchwässerte 20 Stunden, die nerven. Ich bin guter Dinge, dass das hinhauen könnte.

Erhältlich für: Xbox, Playstation, Switch
Website: biomutant.com/de