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Harveys neue Augen

Introvertiert trifft auf extrovertiert trifft auf Daedalic – was folgt, ist der pure Wahnsinn.

Bevor ich es mit „Harveys neue Augen“ zu tun bekam, kannte ich weder die PC-Version als auch den Vorgänger „Edna bricht aus“. Und ich frage mich heute ernsthaft, warum das so war. Denn dieses Adventure hier ist ein echtes Juwel unter den Adventures.

So viel verrate ich euch schon mal. Dass man „Harveys neue Augen“ aber auch ohne Vorwissen spielen und genießen kann, habe ich unter Beweis gestellt. Dennoch kann ich euch den Vorgänger nur weiterempfehlen.

Spätes Kennenlernen

Vielleicht lag es an der etwas detailarmen Grafik, dass ich mich nie so recht für „Edna bricht aus“ oder „Harvey neue Augen“ interessiert habe. Denn grafisch ist das Spiel auf einem sehr einfachen Niveau, was größtenteils an der Entstehungsgeschichte des Titels liegt: Die Geschichte um Edna und ihren Ausbruch aus der Psychiatrie stammt nämlich aus der Ein-Mann-Programmier-Armee namens Jan Müller-Michaelis.

Dementsprechend musste er die Grafik etwas einfacher halten. Und da „Harveys neue Augen“ im gleichen Universum angesiedelt ist, übernahm man den Stil einfach. Dann habt ihr diese Info auch mal. Übrigens spielt besagt Edna in „Harvey neue Augen“ auch mit, ist aber lediglich ein Nebencharakter, den ihr bald besser kennenlernen werdet. Diesmal übernimmt Lilli die Hauptrolle.

Das introvertierte Mädchen lebt in einem Kloster und trägt dank ihrer Art das Leid dieser Erde auf den Schultern. Ihr devotes Verhalten veranlasst fast jeden Bewohner des Klosters – vom Mitschüler bis hin zur Obernonne – das hilflose Mädchen schamlos auszunutzen. Zudem kann Lilli niemandem etwas recht machen.

Lilli selbst sieht es gelassen und schluckt die Sorgen hinunter. Zudem redet sie im gesamten Spiel nie einen kompletten Satz, woran meistens die Stimme aus dem Off schuld dran ist.

Grandiose Unterstützung

Der Erzähler kommentiert rigoros alles, was Lilli unternimmt, schneidet ihr gerne immer wieder das Wort ab und sorgt mit seinem trockenen und teil düsterem Humor für äußerst witzige Momente. Ich will an dieser Stelle nichts spoilern, aber ihr werdet oft schmunzeln müssen.

Der Erzähler ist durch Götz Otto nicht nur hervorragend vertont, sondern trägt größtenteils zur bizarren Geschichte bei – einfach nur herrlich. PC-Besitzer erfreuen sich übrigens schon einige Jahre über „Harvey neue Augen“. Konsolenbesitzer mussten sich gedulden. Nun darf ich auf meiner Xbox One auch endlich in diese verrückte Welt eintauchen und Rätsel lösen.

Zunächst fällt mir die ordentlich umgesetzte Steuerung auf: Per Stick bewege ich Lilli direkt durch die Gegend und muss keinen Mauszeiger bedienen. Hotspots werden per Tastendruck angezeigt und mit den anderen Knöpfen kann ich schnell mit Dingen interagieren und auf mein Inventar zugreifen. Alles ganz praktisch, auch wenn es einiges an Eingewöhnung braucht.

Faire Kopfnüsse

Die Rätsel selbst gestalten sich immer recht fair – und sind teilweise bitter böse oder sehr verquer. Solltet ihr mal irgendwo hängen bleiben, dann hilft euch entweder der Erzähler mit einer süffisanten Anmerkung auf die Sprünge oder ein Gespräch mit anderen Bewohnern des Klosters. Nie hatte ich das Gefühl überfordert zu sein oder total festzustecken.

Nach rund zwölf bis 14 Stunden sollte jeder das Ende erreicht haben. Richtig lustig wird es, wenn ihr es mit Edna zu tun bekommt, eurer besten Freundin, wenn man das so nennen kann. Sie ist so ziemlich das Gegenteil von Lilli und hat stets Schabernack im Sinn. Lilli darf es dann anschließend ausbaden. Die Situationskomik, die dabei manchmal entsteht, ist einfach hervorragend.

Noch witziger sind die Momente, in denen wirklich schreckliche Dinge um Lilli herum passieren. Da Lilli so ein zarter Charakter ist und das Böse in ihrer Welt nicht existiert, hat sie eine eigene Abwehrfunktion für sich entwickelt: Sobald sie das Schrecken heimsucht, tauchen kleine Pixel-Zwerge auf, die alle bösen Dinge rosa färben. Lasst das einfach mal auf euch wirken.

Fazit

Bei „Harvey neue Augen“ passt einfach alles zusammen: Der schwarze Humor, die fordernden Rätsel, eine hervorragende Vertonung und einfaches Gameplay. Damit ist das schon etwas ältere Adventure für mich ein neu entdecktes Highlight, das mich zudem animiert hat, auch mal einen Blick auf den Vorgänger „Edna bricht aus“ zu werfen. „Harvey neue Augen“ ist richtig böse, aber auch richtig gut.

Erhältlich für: PS4, Xbox One, PC, Switch
Website: daedalic.com/games