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Marvel’s Avengers

Heldenhafter Absturz oder Super-Unterhaltung? Dieser nerdige Fanausflug spaltet die Gemüter.

Ganz zu Beginn muss ich Stellung beziehen: „Marvel’s Avengers“ ist bei weitem kein schlechtes Spiel. Warum ich das sage? Nach der gelinde gesagt katastrophalen Beta-Phase haben schon viele Fans das Spiel abgeschrieben. Die von vielen vorausgesagte Voll-Katastrophe blieb jedoch aus.

„Marvel’s Avengers“ ist ein unterhaltsames Action-Abenteuer geworden. Das war’s. Nur leider konnte es den haushohen Ansprüchen der Fangemeinde nicht gerecht werden. Das wiederum hat der Titel auf der einen Seite selbst zu verschulden, auf der anderen Seite ginge das auch nie. Lasst mich erklären.

Die Stützen des Erfolgs

„Marvel’s Avengers“ steht auf zwei Grundsäulen, die das Spiel stützen sollen. Die eine ist die Solo-Kampagne, die andere der Multiplayer-Part, den man auch als das End-Game bezeichnen könnte. Dazwischen geistern noch tägliche, wöchentliche oder monatliche Herausforderungen herum, die dem Gerüst mehr Substanz geben sollen. Alles soweit okay und nachvollziehbar.

Aber schaut man sich die beiden Säulen genauer an, erkennt man auch ein paar kleine Risse auf dem sonst hochpolierten Marmor. Ich beginne mit der Kampagne. Das Wort Solo-Kampagne war übrigens nicht sonderlich clever gewählt. Denn ihr könnt die Story auch zu zweit spielen. Oder viel besser gesagt: „Marvel’s Avengers“ geht davon aus, dass ihr sie zu zweit spielt. Und da wären wir schon beim ersten Punkt.

Als Einzelspieler merke selbst ich oftmals viel zu deutlich, dass das alles hier für zwei Spieler ausgelegt ist. Es sind die kleinen Aufgaben, wenn man im Team unterwegs ist. Anstatt die KI einzelne Aufgaben übernehmen zu lassen, wie gewisse Schalter zu drücken, macht ihr die ganze Arbeit. Das mag sich jetzt kleinlich anhören, fühlt sich dennoch immer wieder merkwürdig an.

Holt das Popcorn raus

Dabei ist die Story an sich alles andere als öde Aufgabenerfüllung. Es ist vielmehr ein interaktiver Film zum Mitspielen – und ein Film mit einer ziemlich coolen Story und einer noch cooleren Hauptheldin. Alles dreht sich bei „Marvel’s Avengers“ um das junge Fan-Girl Kamala Khan, die eigentlich nur Comic-Autorin werden will. Bei einem Fan-Wettbewerb schafft sie es dann sogar ins Finale und darf die Avengers persönlich besuchen.

Doch das Event wird zum Desaster und der Tag geht als „A-Day“ in die Geschichte ein. Das Ende der Avengers scheint besiegelt. Fünf Jahre später setzt die Erzählung wieder ein und ihr merkt langsam, dass dieser Tag nicht spurlos an Kamala vorbeigezogen ist. Ich meine nicht die seelischen Schäden, sondern die Tatsache, dass sie nun zu den sogenannten „Inhumans“ gehört. Sie ist eine Mutantin mit Superkräften.

Eine Organisation namens AIM hat sich der Bevölkerung zum Schutz verschrieben. Dazu gehört auch, dass alle Inhumans unschädlich gemacht werden. Für Kamala ist es nun aber an der Zeit, die Avengers zu vereinen und die Machenschaften dieser Firma ans Licht zu bringen. Mehr Story-Fetzen gibt es jetzt nicht mehr.

Unterhaltung mit Spielunterbrechungen

All das hat mich bestens für rund zehn, zwölf Stunden unterhalten. Wie schon bei den „Tomb Raider“ Spielen macht Crystal Dynamics hier einen wunderbaren Job. Sehr viel Fan-Fiktion ist in „Marvel’s Avengers“ eingeflossen. Überall erkennt man die Liebe zum Detail. Optisch gibt es aus meiner Sicht nichts zu meckern: Sämtliche Charaktere wurden fantastisch in die virtuelle Welt übertragen – und das mit einer ausdrucksstarken Mimik.

Nur beim eigentlichen Gameplay bin ich mir nicht sicher. Denn die Kampagne selbst spielt sich sehr linear – sogar die Levels an sich sind nicht mehr als riesige Schläuche, denen ihr folgt. Ihr lauft, springt, verschiebt und prügelt euch natürlich durch die Gegend. Wieder und wieder. Dass dabei die Helden manchmal wechseln, spielt kaum eine Rolle – und genau hier liegt das größte Problem, das die zweite Säule ins Wanken bringt.

Die zwei Herzen der Avengers

Was ich gerade über die Charaktere gesagt habe, fällt vielleicht in der Kampagne nicht sonderlich ins Gewicht. Beim Multiplayer-Modus wirkt sich das aber in gewisser Weise verheerend aus. Denn am Ende des Tages spielt sich fast jeder Charakter gleich. Die Grund-Attacken stimmen bei allen überein – auch wenn es leichte Variationen gibt. Nur die Spezialattacken lassen erahnen, um welche „Klasse“ es sich hier handeln könnte.

Und genau diese Unterscheidung hätte ich mir gewünscht. Ich will mit Hulk nach vorne an der Front tanken, um mit Iron Man Artillerie-Unterstützung zu geben. Hätte hier jeder Charakter seinen festen Klassen-Platz, wären die späteren Gefechte in den sogenannten Warzones wesentlich ausgereifter und damit spaßiger oder motivierender.

Denn auf diese Art hier, stürzt sich jeder gleich ins Getümmel und prügelt drauf los, dass die Fetzen fliegen – was ja auch völlig okay und spaßig ist. Nur der taktische Rahmen fehlt komplett. Für Langzeitmotivation ist bei mir so nicht gesorgt. Gleiches gilt auch für die Ausrüstung, die ihr während des Spiels findet.

Es ist super, dass sie da ist, doch leider seht ihr davon nichts an euren Charakteren. Das mag wohl mit Lizenzgründen zu tun haben, ist aber doch sehr schade. So könnt ihr euren individuellen Touch vergessen und zieht nur das an, was die besten Werte hat. Darüber hinaus gibt es aber dennoch ein paar coole Alternativ-Outfits für die Charaktere, die ihr euch erspielen oder kaufen könnt. Rein kosmetische Outfits, versteht sich.

Wenn ich all das erneut Revue passieren lasse, was ich bei den „Marvel’s Avengers“ erlebt habe, merke ich zwei Dinge: Erstens, dass ich sehr viel Spaß mit dem Spiel hatte und habe. Zweitens, dass ich über die verpassten Chancen etwas wütend oder enttäuscht bin. Denn das hier hätte so viel mehr sein können als „nur“ ein gutes Spiel. Es hätte herausragend sein können. Und genau das ist schade. Aber irgendwo muss ja jeder mal anfangen. Und das Fundament für ein wahrhaftig geniales Spiel ist hiermit ja gelegt.

Fazit

Wie bereits gesagt: „Marvel’s Avengers“ ist ein gutes Spiel geworden – nur leider kein großartiges. Die Liebe zum Detail lässt sich in jeder Pixelpore spüren. Ganz großer Fanservice an dieser Stelle. Nur in Sachen Gameplay kommt mir das Spiel zu glatt oder mainstreamig rüber. Es will keinen Fan durch individuelle Spielweisen eines Helden vergraulen und schleift dafür alle über denselben Spielmechanik-Stein.

Nur etwas mehr Mut hätte diesem Werk gut zu Gesicht gestanden. Dafür punktet „Marvel’s Avengers“ mit einer grundsympathischen Heldin und einer Kampagne mit Popcorn-Feeling. Nur in punkto End-Game muss Crystal Dynamics noch eine Schippe drauflegen.

Erhältlich für: PS4, Xbox One, PC
Website: avengers.square-enix-games.com/de